Das Seaboard Rise: Wellen aus Silikon anstelle hölzerner Tasten

Das neuste Bedienkonzept für die Rubrik der Tasteninstrumente gibt es seit circa 2014 von Roli. Das Instrument, das heißt, genau genommen eigentlich die Bedienoberfläche hat vermutlich nicht zufällig einen ähnlich lautenden Namen wie der Oberbegriff für elektronische Tasteninstrumente Keyboard: Das Seaboard (Artikel der FAZ von 2013). Die Ähnlichkeit der Bezeichnungen ist trügerisch, denn es gilt zu differenzieren.

Die ersten 3 Buchstaben des SEAboards stehen für

  • Sensory
  • Elastic und
  • Adaptive.

Das Material dieser neuen Bedienoberfläche ist Silikon. Die Struktur an der Oberfläche entspricht dem Muster der bekannten Klaviatur. Der Keyboarder Jordan Rudess spricht daher in dem Video vom Keyboard-Form-Faktor. Aber es werden keine Hebel bewegt, sondern die Finger drücken und gleiten über Wellen. Das heißt, unter der Oberfläche befinden sich eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Sensoren für

Die beiden Ribbons ober- und unterhalb der so genannten Keywaves (Wellen anstelle von Tasten) ermöglichen eine wesentliche Steigerung bei der unmittelbaren Integration von Effekten in die Tonerzeugung. Ähnlich wie bei den Gesten auf dem Touchscreen erzeugen verschiedene Fingerbewegungen unterschiedliche Effekte. Spielte man auf einer herkömmlichen Klaviatur bislang eindimensional, indem man eben nur die Wahl hatte, eine Taste herunterzudrücken, um einen Ton zu erzeugen, so werben die Macher des Seaboards damit, dass man nun 5-dimensional spielen kann:

  1. Anschlagen = Kontaktaufnahme mit der Bedienoberfläche (Strike)
  2. Drücken nach dem Anschlagen, bereits am Keyboard bekannt als Aftertouch (Press)
  3. Seitliches Gleiten bewirkt Intonation der Tonhöhen (Glide)
  4. Auf der Taste der Länge nach Schieben = der Wechsel zwischen 2 Samples (Slide)
  5. Loslassen der Bedienoberfläche (Lift)

All diese Eigenschaften kann man mittels Parametern über eine Digital Audio Workstation (DAW) vielfältig einstellen, speichern und nachträglich bearbeiten. Mit entsprechenden Sounds verbunden gelingt es somit erstmals zumindest mit einer Art von Tasteninstrument das Streichen von Saiten oder das Anblasen von Blasinstrumenten und somit die bislang einzigartige Artikulation akustischer Instrumente originalgetreu zu imitieren. Mit der Bedienoberfläche des Seaboards und der dazu gehörenden Software bekommen also zuerst einmal die akustischen Melodieinstrumente digitale Konkurrenz.

Meine ersten Erfahrungen mit dem Seaboard Rise

Wie reagieren zum Beispiel Klavierspieler, wenn ich ihnen im Rahmen des Klavierservice begeistert von den neuen Möglichkeiten berichte? Ohne lange nachdenken zu müssen, sind sie alle der Ansicht, dass sie sich bislang schon von der eindimensionalen Spielweise der herkömmlichen Klaviatur aufgrund des schon möglichen Spiels mit beiden Händen und somit eben mit allen Fingern keineswegs unterfordert fühlen.

Hinsichtlich eines Transfers vom Klavier spielen auf die neue Bedienoberfläche des Seaboards ist meine persönliche Erfahrung:

Zwar hat die Bedienoberfläche des Seaboards einen so genannten Klaviatur-Form-Faktor. Das heißt, es bestehen strukturelle Ähnlichkeiten zum Beispiel in der Anordnung der Keywaves und den uns bekannten schwarzen und weißen Tasten der herkömmlichen Klaviatur. Doch wer versucht, auf den Keywaves Klavier zu spielen, wird aufgrund der hohen Fehlerquote beim Treffen der richtigen Keywaves zumindest bei den ersten Spielversuchen kläglich scheitern. Schauen wir uns die beeindruckenden Demo-Videos mal genauer an, dann sehen wir, dass meist nur mit einer Hand und wenn mit zwei Händen, dann hinsichtlich der damit verbunden Fingerfertigkeit nicht sehr anspruchsvoll im Sinne von komplex gespielt wird. Aber warum ist das so? Auf den zweiten Blick erkennen wir, dass der Klaviatur-Form-Faktor sich tatsächlich mit Ähnlichkeiten begnügt. Den bereits genannten Gemeinsamkeiten stehen die folgenden Unterschiede gegenüber:

  1. Bei der vom Klavier her gewohnten Klaviatur ist der optische Unterschied zwischen Ganz- und Halbtönen deutlich. Die Ganztöne sind weiß, die Halbtöne schwarz. Mehr farblicher Kontrast geht nicht. Im Gegensatz dazu unterscheiden sich beim Seaboard Ganz- und Halbton-Keywaves farblich nur durch eine weiße Linie auf den Halbton-Keywaves. Sie sehen zuerst die Klaviatur eines Klaviers (88 Tasten), dann die Klaviatur eines Keyboards (61 Tasten) und schließlich die Bedienoberfläche mit Klaviatur-Form-Faktor des Seaboard Rise (49 Keywaves) jeweils von oben. Klavier-Klaviatur von oben Keyboard-Klaviatur von oben Seaboard Rise 49 Bedienoberfläche von oben
  2. Die Ganz- und Halbtöne unterscheiden sich bei den akustischen Tasteninstrumenten sowie beim Keyboard strukturell in der Höhe. Die Halbtöne liegen dort rund 10 mm über den Ganztönen. Der Höhenunterschied beträgt beim Seaboard jedoch nur circa 5 mm. Zuerst wieder das Bild einer Klavier-Klaviatur und dann die im Vergleich dazu unglaublich dünne Bedienoberfläche der Keywaves des Seaboard Rise 49 von vorne. Klavier-Klaviatur von vorne Seaboard Rise 49 Bedienoberfläche von vorne
  3. Die Tastenbreite beträgt am Klavier circa 22 mm. Die Keywaves des Seaboard jedoch nur 18 mm, die eigentliche Zielfläche oben auf den Wellen ist sogar nur 5 mm breit. Das Problem der Trefferquote im Zusammenhang mit der Zielfläche ist, dass ich bei Presets mit Intonation die zum angespielten Ton exakte Tonhöhe nur erhalte, wenn ich genau die 5 mm breite Zielfläche oben auf den Keywaves treffe. Treffe ich den rechten oder linken schrägen Randbereich der Keywaves, so erzeuge ich (in Abhängigkeit vom Preset) damit einen etwas höheren oder tieferen Ton, der sich wie ein Fehler anhört. Diese Fehlerwahrscheinlichkeit ist eigentlich nur dadurch vermeidbar, indem man sich auf eine Melodie- und somit eben auf eine Spiel-Hand konzentriert.
  4. Die Länge der Keywaves beträgt 12 cm, die der normalen Tasten rund 13,5 cm. Der vordere Teil des Ganztons ist beim Seaboard gleich lang wie der Halbton, nämlich 5 cm. Im Gegensatz dazu ist der Halbton der normalen Klaviatur circa 8,5 cm während der vordere Teil nur 4,5 cm lang ist. Trotzdem habe ich an der normalen Klaviatur das Gefühl, mehr Spielraum für meine Finger zu haben. Das kommt daher, dass ich beim Drücken von Ganztönen nicht auf den vorderen Teil beschränkt bin, sondern den Ganzton auch in dem Raum zwischen den Halbtönen drücken kann. Dabei dienen mir die wesentlich höheren Halbtöne als taktile Orientierung und geben meinem Fingerspiel somit Sicherheit. Beim Seaobard kann ich zwar beim Drücken der Ganztöne auch den Raum zwischen den Halbtönen nutzen. Doch verhindern dort entsprechende Höhenunterschiede zwischen den Tasten eine taktile Orientierung als Grundlage für die Bewegungsführung, um im Endergebnis möglichst immer präzise Töne zu erzeugen. Für die herkömmliche Klaviatur ist die Länge des Hebels und somit der Taste eine wesentliches Kriterium für das Dynamikspektrum und somit für die Spielart. Das ist beim digitalen Seaboard natürlich nicht der Fall. Daher käme man hier grundsätzlich mit einer kürzeren Fläche der Keywaves aus. Doch mit der kürzeren Länge der Keywaves verbunden verringert sich eben die Trefferfläche. Das Problem mit dem Treffen der richtigen Keywaves erkennt man in den Demo-Videos daran, dass sich die Spieler sogar beim Spiel mit einer Hand nach meiner Beobachtung darum bemühen, die Hand vorschriftsmäßig ganz gerade vor die Keywaves zu setzen. Große Griffweiten finden aus dem hier genannten Grund nicht statt. Komplexe Akkorde werden nicht gespielt. Bedienoberfläche des Seaboard Rise 49 von der Seite betrachtet
  5. Ober- und unterhalb der Keywaves befindet sich beim Seaboard je ein 2 cm breites Ribbon, also eine weitere anspielbare Sensorfläche, die wiederum den Zugang zu ganz anders gearteten Spielweisen eröffnen.
  6. Der Vollständigkeit halber muss man hier natürlich darauf hinweisen, dass der grundsätzliche Unterschied, nämlich Töne in der Tonhöhe variieren zu können, bei der herkömmlichen Klaviatur entweder bei der akustischen Variante komplett fehlt oder am Keyboard über ein so genanntes Pitchrad erst nach dem Drücken/Finden der richtigen Taste erzeugt wird. Im Gegensatz dazu ist die Intonation beim Seaboard als eine Möglichkeit direkt in der Sensorik der Keywaves angelegt. Der Umgang mit dem Potenzial der Intonation ist für den Klavierspieler ein völlig neues Thema, mit dem man sich erst einmal in der Praxis lernend auseinandersetzen muss.

Auf einer Vielzahl von Tasten oder Wellen mit einer besonderen Struktur muss man sich orientieren. Beim Klavierspiel ist es jedoch traditionell verpönt, auf die Tasten zu schauen, sich also optisch zu orientieren. Daher verwenden viele intuitiv den Trick, mit dem Fingern den Kontakt zu bestimmten Tasten zu halten, um sich somit taktil orientieren zu können. Wenn wir diesen Trick beim Seaboard anwenden, laufen wir Gefahr, durch diesen Kontakt zur Bedienoberfläche ungewollte Töne zu erzeugen. Das heißt, man muss den Kontakt der Finger zu den Keywaves komplett lösen - und sich dann eben doch optisch orientieren. Die optische Kontrolle scheint jedoch für die Präzision eines schnellen Fingerspiels nicht genau genug zu sein. Daraus resultiert die höhere Fehlerquote in der Präzision, wenn man versucht, schneller zu spielen beziehungsweise komplexere Muster wie beim Klavierspiel zu realisieren. Daher wird in den Demo-Videos auch nur in kurzen Sequenzen das schnelle Spiel mit einer Hand demonstriert. Im Wesentlichen erlebt man dort den Mehrwert des 5D-Touch für das Expression-Spiel, und das heißt, der Ausdruck wird mittels der Effekte

  • Vibrato,
  • Intonation sowie
  • dem Verändern des Klangs

auf länger gehaltenen Tönen akzentuiert. Klavierspiel sieht einfach anders aus. Im folgenden Video sehen und hören Sie die Konzertpianistin und Bewegungsphysiologin Henriette Gärtner 2010 bei einem Konzert in London. Sie spielt die Toccata und Fuge d-Moll BWV 565 von Johann Sebastian Bach in einer Bearbeitung von Carl Tausig:

Kleiner aber wichtiger Exkurs: Es ist anzunehmen, dass unterschiedliche Bedienoberflächen die damit gespielte Musik beeinflussen. Die auf Lautstärke, Schnelligkeit und Komplexität des 10-Finger-Spiels ausgelegte herkömmliche Klaviatur des Pianofortes hat daher eine entsprechende Musik erzeugt. Das Seaboard mit seiner neuen Bedienoberfläche und den zeitgemäßen digitalen Möglichkeiten wird daher vermutlich einen andere Art von Musik begünstigen. Eine derartige Überlegung ist durchaus legitim. Doch es besteht die Gefahr, dass die Alternativen auf das Muster des ausschließenden Entweder-oder reduziert werden. Das entspricht nicht dem von uns eigentlichen erwünschten Mem, besser sein zu wollen. Dieses Mem fordert uns heraus, das integrierende Sowohl-als-auch anzustreben. Unserem Anspruch folgend lautet unser Wunsch, dass wir von neuen Varianten des Pianos den bisherigen Leistungsumfang angereichert mit neuen Möglichkeiten zur Gestaltung des ausdrucksstarken, da gefühlvollen Spiels erwarten.

Fortsetzung: Das Fühlen der Finger als Teil der menschlichen Sensorik spielt auch bei der taktilen Orientierung im Spiel auf dem Seaboard eine wichtige Rolle. So können sich die Finger aufgrund der deutlichen Höhenunterschiede bei der herkömmlichen Klaviatur besser orientieren. Diese Form der räumlichen Orientierung scheidet dagegen beim Seaboard nahezu vollständig aus. Betrachtet man in dem Zusammenhang die zahlreichen Demo-Videos, so fällt häufig eine gewissen Unsicherheit der Seaboard-Spieler auf. Die Beschränkung auf einfache Melodien sowie auf Intervalle anstelle von komplexen Akkorden hat vermutlich mit dem Fehlen der bislang gewohnten Orientierungspunkte auf der Bedienoberfläche zu tun.

Das völlig anders geartete Material sowie die farblichen und strukturellen Unterschiede der Bedienoberfläche des Seaboards erfordern eine andere Herangehensweise, die man sich erst einmal erarbeiten muss. Alternativ zu der uns bislang bekannten komplexen 10-Finger-Spielweise eröffnen sich auf der Silikon-Oberfläche der Keywaves für die beiden Hände ganz neue und vor allem bislang unbekannte Möglichkeiten, Klang- und Tonfolgen zu erzeugen. Doch die Kombination der bisherigen Spielweise mit den neuen Gestaltungsmöglichkeiten ist (noch) nicht in dem bislang gekannten Maß an Komplexität möglich. Hier wäre eine Steigerung der möglichen Komplexität des Spiels durch eine Annäherung an das bislang gewohnte Muster wünschenswert.

Das Seaboard ist ein Masterkeyboard. Das heißt, die Hardware braucht für die Klangerzeugung eine Software. Die neuen 5 Dimensionen des Seaboard-Spiels kann aber im Moment nur mit der neuen Digital Audio Workstation (DAW) von Bitwig in vollem Umfang aufgezeichnet und bearbeitet werden. Es ist zwar kaum zu glauben, dennoch ist es möglich, dass Roli die Abhängigkeit der eigenen Hardware von einer entsprechend leistungsfähigen Software übersieht. Die von Roli mitgelieferte Software Equator ist nicht imstande, musikalische Einspielungen aufzuzeichnen, sondern lediglich um klangliche Presets zu erstellen. Und wie sieht es mit anderen DAWs aus? Wie oben angeführt ist Bitwig im Moment die einzige DAW, die den vollen Umfang des 5-Dimension-Touch des Seabord abbilden kann. Nicht einmal Cubase als das Flaggschiff der DAWs kann in diesem Punkt bislang (Stand Juli 2016) mithalten! Dass Steinberg in diesem Punkt dem jungen Marktteilnehmer Bitwig hinterher hinkt, ist insofern erstaunlich, da Cubase von der ursprünglich deutschen Firma Steinberg Media Technologies produziert wird, die seit 2004 eine Tochter von Yamaha ist. Diese Verbindung zwischen einem Musik-Bearbeitungs-Software-Hersteller (Steinberg) und einem Hardware-Hersteller (Yamaha) liefert uns wiederum den Hinweis, dass im Rahmen dieser Neuentwicklung selbst das Marketing eines großen Namens wie Yamaha ins Stocken gerät. Die Frage, warum das so ist, warum also Yamaha nicht offensiv eine neue Entwicklung aufgreift, weiterführt und in die bestehenden Möglichkeiten integriert, muss dringend gestellt werden. Denn aus der Antwort geht hervor, dass Yamaha als Weltmarktführer im Bau akustischer Pianos kein Interesse an einer Entwicklung haben kann, die einen konkreten Angriff auf die begrenzten Möglichkeiten des Klavierspiels darstellt! Diese 2016 von mir geäußerte Vermutung findet in der 2017 veränderten Strategie der Yamaha-Tochter Bösendorfer ihre Bestätigung. Lesen Sie dazu meinen Blog Bösendorfer - Reset to 1900 by Yamaha.

Für die vom Stillstand betroffenen Musiker bedeutet das letztendlich: Wer auf eine Weiterentwicklung der großartigen Innovationen vom Hammerklavier über das Pianoforte zu unserem heutigen Hochleistungs-Flügel mit Repetitionsmechanik setzt, der darf nicht auf die bereits existierenden Big Player im Markt warten. Wer eine revolutionäre Entwicklung erwartet, muss auf kleine, neue Anbieter hoffen, die durch den Stillstand der marktbestimmenden Kräfte in die sich öffnenden Lücken eindringen und so die für jeden Markt letztendlich tödliche Gesamt-Markt-Verwaltung der heute noch großen Anbieter als Chance für die längst überfällige Revolution der Musik nutzen.

Fazit: Das Seaboard läuft Gefahr, eine Randerscheinung zu bleiben. Die neue Komplexität der 5 Dimensions of Touch muss gut organisiert und reduziert werden. Eine zu hohe Fehlerwahrscheinlichkeit von komplexeren Spielweisen hält wahrscheinlich viele Musiker vom Einsatz bei Live-Events ab. Das Seaboard könnte in den Büchern der Musikgeschichte verschwinden, falls niemand die kritischen Impulse aufgreift, verfeinert und praxistauglich verändert. Die Hauptzielgruppe für das Potenzial der 5 Dimensions of Touch sind selbstverständlich die bisherigen Klavierspieler und Keyboarder. Daher ist das Thema vor allem für die Hersteller dieser Instrumentengruppen von Interesse. Es ist kaum anzunehmen, dass sich ein Streicher beziehungsweise Bläser über eine Art Klaviatur etwas noch einmal erarbeiten will, was er eh schon kann. Ganz im Gegenteil verfügen die Musiker aus diesen Bereichen bereits über die Erfahrung im Umgang mit den Möglichkeiten der Intonation. Sie wissen schon, dass es mehr Sensibilität und somit auch mehr Aufmerksamkeit erfordert, wenn man ständig um die Feinheiten der Tonhöhen ringen muss. Gerade daher schätzen Bläser und Streicher häufig eine herkömmliche Klaviatur aufgrund der dort bestehenden Einschränkung, darauf nicht intonieren zu können, und es folglich auch nicht zu müssen. Mit anderen Worten: Die Eigenschaft, zwischen den unterschiedlichen Konzepten willkürlich wechseln zu können, wäre ein Musiker begeisterndes Leistungsmerkmal. Wer schon gestern am Keyboard intonieren wollte, der konnte das mittels dem bereits erwähnten Pitchrad mit 100% Erfolgsquote (Video Billie Jean on BBC Proms mit Cory Henry am Mini-Moog-Synthesizer). Da es hier thematisch um die Bedienoberfläche als Schlüsseltechnologie für Musikinstrumente mit komplexer Spielweise geht und wir festgestellt haben, dass die Hauptzielgruppe einer Bedienoberfläche mit Klaviatur-Form-Faktor die Klavierspieler und Keyboarder sind, muss ich die Bedienoberfläche des Seaboard Rise 49 wie folgt beurteilen:

Die klassischen Orientierungspunkte für Klavier- und Keyboard-Spieler sind im Seaboard Rise äußerst unzureichend realisiert. Der Höhenunterschied zwischen den Ganz- und Halbton-Keywaves ist zu gering, um für die taktile Wahrnehmung ausreichend zu sein. Der Farbkontrast zwischen Ganz- und Halbtönen besteht lediglich in einer dünnen weißen Linie auf den Halbton-Keywaves und ist somit für die optische Wahrnehmung keine wirkliche Hilfe. Da die Keywaves nicht nur die 5 mm breite Zielregion oben auf den Keywaves, sondern links und rechts davon noch einmal jeweils circa 6 mm breite Kontaktzonen der aufsteigenden beziehungsweise abfallenden Welle besitzen, die je nach eingestelltem Preset funktionelle Eigenschaften aufweisen, wäre es im Interesse des Erfolgserlebnisses unserer Hauptzielgruppe sinnvoll, diese auch farblich eindeutig unterscheidbar hervorzuheben. Wirf man jetzt noch einmal einen Blick auf die Bedienoberfläche des Seaboard Rise 49, dann handelt es sich nicht etwa um eine unscharfe Aufnahme sondern um ein Abbild, das unter dem Gesichtspunkt der unterscheidenden Wahrnehmung sehr bescheiden ist:

Seaboard Rise 49 Bedienoberfläche von oben

Wer also jetzt schon ein Seaboard Rise gekauft hat, besitzt ein interessantes (und relativ teures) Spielzeug mit Nachbesserungsbedarf seiner Bedienoberfläche. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird Ihnen Roli aber kein Update der Hardware zum Umtausch anbieten. Scheinbar zufällig da zeitnah zum Erscheinen dieses Erfahrungsberichts der Klavierstimmerei Praeludio® erhielt ich von Roli per E-Mail die neue Information (Stand Juli 2016), dass es nun auch möglich sei, das Seaboard zu mieten. Allerdings besteht das neue Angebot vorerst nur für Kunden in USA. Das ist immerhin die richtige Reaktion auf das Feedback des Marktes, das nämlich besagt, dass es sich bei dem Seaboard um eine Hardware handelt, die noch am Anfang ihrer Entwicklung steht!