Vom Wunsch zur Wirklichkeit

Wünsche sind Ausdruck von Sehnsüchten, die auf unerfüllte Bedürfnisse schließen lassen. Aus Bedürfnissen entstehen Märkte. Denn Sehnsüchte sind der Stoff für Innovationen, die starke Veränderungen nach sich ziehen können, wenn sie bei den Interessenten auf Resonanz stoßen. Das heißt, der Erfolg des Angebots hängt davon ab, ob es passend zur aktuellen Sensibilität der Kunden ist. Wie sieht sie aus, die derzeitige Befindlichkeit der Klavierspieler?

Zum Seitenanfang Die Lust auf das 10-Finger-Klöppeln beflügelt eine Idee

Vom Hackbrett über das Hammerklavier zum Pianoforte

Pantaleon Hebenstreit bewies um 1700 seine Kunst als Hackbrettspieler an einer Spezialanfertigung von Gottfried Silbermann. Solch ein Event inspirierte den Cembalobauer Bartolomeo Cristofori, das Klöppeln der beiden Hände über eine Mechanik nachzubilden, und diese mit dem Bedienfeld der Klaviatur zu verbinden. Die 1709 entwickelte Hammermechanik ermöglichte ein vergleichsweise komplexeres Spiel sowie das Variieren der Lautstärke. Ein weiterer Mehr-Wert ist die leichtere Lernbarkeit über das 10-Finger-Spielsystem. Es folgten interessante Verbesserungen:

  • 1826 entstand der Wohlklang durch den elastischen Filz auf den hölzernen Hammerkernen. Der mit dem elastischen Filz verbundene Mehr-Wert bestand in der Erweiterung der Möglichkeiten der Klavierspieler, die Klangfarben als Mittel des Ausdrucks zu gestalten.
  • Die nächsten 3 Punkte betreffen die Quantität. Als Folge dieser Erweiterungen musste das Saiteninstrument immer höhere Zugkräfte verarbeiten:
    1. Der Tonumfang stieg von ursprünglich 4 auf heute über 7 Oktaven. Ein Sonderfall ist der um 1900 von Bösendorfer entwickelte Flügel IMPERIAL mit 8 Oktaven. Der wundervolle Klang ist auf der gleichnamigen CD Imperial der Konzertpianistin Henriette Gärtner zu hören.
    2. Der Flügel musste lauter werden, um mit dem Orchester konkurrieren zu können: Ab der Mittellage werden anstelle 2 nun 3 Saiten angeschlagen. Das Extrem dieser Entwicklung war der Quattro Chord Superflügel, der 1943 von August Förster (Leipzig) gebaut worden ist.
    3. Von 1700 bis 1939 stieg die regional unterschiedliche Grundtonhöhe zum Beispiel in Deutschland von 415 Hertz auf die international einheitliche Norm von 440 Hertz. In Konzerten wurde der so genannte Kammerton mittlerweile von 440 Hertz auf 442 − 446 Hertz angehoben.
  • Anfang des 19. Jahrhunderts entstand das aufrechte Klavier. Diese platzsparende Version war eine weitere Voraussetzung, um das Piano zum Bestseller zu machen.
  • Gegen Ende des 19. Jahrhunderts verbreiteten sich die pneumatisch betriebenen Selbstspieler.
  • Erste Variante eines Hybrid-Pianos: Das Silent-Piano ermöglichte gegen Ende des 20. Jahrhunderts die Wahl zwischen akustischer und elektronischer Klangerzeugung in einem Instrument.
  • Ebenfalls Ende des 20. Jahrhunderts entstand CEUS (Bösendorfer), ein Selbstspieler mit der Möglichkeit zur direkten Einspielung, die aufgezeichnet, gespeichert und am Originalinstrument - und das heißt mit dem Originalklang - wiedergegeben werden kann. An diesem so genannten Computerflügel studiert Professor Gerhard Widmer vom Institut für Computational Perception an der Johannes Kepler Universität Linz die Kunst der Interpretation. Die Ziele Professor Widmers waren es
    • zum einen Klaviermusik sichtbar zu machen, sowie
    • zum anderen dem Computer die so erkannten Regeln des Musizierens zu vermitteln, damit dieser Musik wie ein Mensch emotional produzieren kann, ohne Emotionen zu kennen.
  • Das dritte Jahrtausend startet im Klavierbau mit einer sensationellen Nachricht aus Nordamerika: 2002 wurde das sich selbst stimmende Klavier patentiert.
  • Zweite Variante eines Hybrid-Pianos: 1987 bieten Seiler (Kitzingen) mit dem DuoVox beziehungsweise 2009 Yamaha (Japan) mit dem AvantGrand die Kombination aus einer das Spielgefühl optimierenden Flügelmechanik sowie einem raumsparenden und gleichzeitig die Stimmhaltung garantierenden elektronischen System der Klangerzeugung.
  • Bislang aber noch nicht wieder erreicht: Die Modulatonsfähigkeit des Vorläufers von Cembalo und Hammerklavier, nämlich des Clavichords. Auf die Grenzen der Modulationsfähigkeit sowie den starken Wunsch der Pianisten, den Auftrag der Komponisten gestalterisch optimal umsetzen zu wollen, verweist eindrucksvoll der im September 2010 gestartete Film Pianomania.
Zum Seitenanfang Ein Pianist wurde kreativ

Friedrich Gulda spielt Clavichord

Friedrich Gulda (1930 - 2000) war ein großartiger Pianist. Sein Leben zeichnete Intensität sowie der Mut zur Kritik aus. Ähnlich wie sich Johann Sebastian Bach von der damals üblichen Stimmung eingeschränkt fühlte, empfand Friedrich Gulda die Möglichkeiten zur Gestaltung des Ausdrucks am Flügel als begrenzt. Seine Kritik war konstruktiv, indem er alternativ zum Piano das historische Clavichord gewählt hat.

Das Clavichord ist in der Art der Tonerzeugung dem Klavier ähnlich. Aber hinsichtlich der Lautstärke spielt es in einer völlig anderen Liga. Denn die Saiten werden beim Clavichord lediglich mittels Tangenten aus Metall am Ende der Taste angedrückt. Dieses Tasteninstrument können Sie auch noch um 24 Uhr problemlos in einer Mietwohnung spielen!

Friedrich Gulda glich das Handicap des Clavichords aus, indem er es mittels Mikrofon aufnahm und verstärkte. Nun konnte er sich ganz den Vorteilen dieses Instruments widmen. Denn Gulda kritisierte am Klavier, dass es eben nicht mehr möglich sei, den angeschlagenen Ton noch zu beeinflussen. Tatsächlich wurde das Clavichord einst wegen seiner Modulationsfähigkeit des Tons geschätzt, die jedoch im Verlauf der weiteren Entwicklung zugunsten der Steigerung der Lautstärke verloren gegangen ist. Daher faszinierten ihn die Möglichkeiten am Clavichord,

  • dem angedrückten Ton ein Vibrato zu vermitteln,
  • nach dem Andrücken des Tons durch einen stärkeren Druck die Tonhöhe zu verändern,
  • wenn man den Ton stärker andrückt, um ihn lauter zu spielen, man gleichzeitig die Tonhöhe verändert, was dem Einzelton einen peitschenden Effekt verleiht.

Diese Beispiele lassen sich unmittelbar nachvollziehen, wenn Sie Friedrich Gulda am Clavichord hören und sehen. Friedrich Gulda spielt Bach:

Bei YouTube finden Sie weitere Videos von Friedrich Gulda am Clavichord. Mit der Auflistung der Möglichkeiten am Clavichord ist gezeigt, dass zwei von vier Effekten der Wunschliste der Pianisten auch ohne neue Erfindungen bereits heute möglich sind. Das sollte uns motivieren, nach weiteren Lösungen zu suchen.

Zum Seitenanfang Superstition von Stevie Wonder besitzt einen einmaligen Sound

Kennen Sie das Clavinet?

Das Clavinet ist ein Saiteninstrument mit einer im Vergleich zum Original abgewandelten Art der Tonerzeugung, die mit einem Tonabnehmer verbunden ist. Lautstärke und Charakter des Tons können durch die Stärke des Anschlags beeinflusst werden. Es ist genau genommen eine moderne Version des Clavichords, das den Umweg über das Klavier übersprungen hat. Das Clavinet erzeugt einen einmaligen Sound, der zum Beispiel zur eindeutigen Identifikation eines Songs wie Superstition von Stevie Wonder beiträgt:

Die Ursache für das Streben nach klanglichen Alleinstellungsmerkmalen

Die modernen Zeiten mit ihrer Vielfalt an Klängen haben es möglich gemacht, dass wir bestimmte Stücke und Interpreten schon an ganz wenigen Klängen eindeutig identifizieren können. Das ist eine gigantische Leistung nicht nur unseres Hörvermögens sondern auch unserer Gedächtnisleistung. Überlegen Sie einmal, wie selten Sie solche Klänge gehört haben, um sie dennoch dauerhaft und exakt speichern zu können! Die Tatsache, dass wir Klänge so leicht lernen, trägt wesentlich dazu bei, dass der Klang zu einem Markenzeichen geworden ist.

Klangvielfalt ist darüber hinaus als Mittel des Ausdrucks heute ein zeitgemäßes Element des musikalischen Dialogs. Um die individuelle Gestaltung des Ausdrucks geht es im Rahmen der Interpretation sowie der Improvisation. Meiner Ansicht nach sind sich die Pianisten unserer Zeit ihrer Problematik hinsichtlich der vielfältigen Konkurrenz bewusst. Um sich auf hohem Niveau neu etablieren zu können, sind sie gefordert, den bislang sehr engen Rahmen der Interpretation wieder in die Richtung der ursprünglich bestimmenden Improvisation zu erweitern. In dem Zusammenhang ringen sie bereits seit längerem um die Ausweitung ihrer Möglichkeiten, die Stilmittel des musikalischen Ausdrucks und somit auch die in Notenschrift dauerhaft gespeicherten Emotionen der Komponisten zeitgemäßer und somit letztlich individueller gestalten zu können, wie das Beispiel von Friedrich Gulda zeigt.

Zum Seitenanfang Was kommt nach der Vorhut?

AvantGrand - was Yamaha unter einem Hybrid-Piano versteht

Wenn Sie den Werbefilm auf der Homepage des AvantGrand anklicken, erscheint die Silhoutte eines Flügels im Gegenlicht. In einer neuen Einstellung wird der Flügeldeckel angeleuchtet. Sie erkennen hochwertiges Furnier. Dann ein kurzer Kameraschwenk auf das ganze Instrument. Es bleibt ein Dreibeiner mit einer für den Flügel typischen Lyra im Kurzzeitgedächtnis haften. Schließlich noch ein Blick über die Klaviatur zum Resonator, der im gleichen edlen Holz-Look designed ist. So gelangen wir über die Regie der Bildersprache zu dem Resumee: Hier handelt es sich eindeutig um einen hochwertig verarbeiteten Flügel in extrem kleinen räumlichen Dimensionen!

Diese optisch gestaltete Kurzgeschichte wird begleitet von angenehmen Klavierklängen. Kühle Farben vermitteln eine entspannte Atmosphäre. Später erfahren wir, dass der AvantGrand mit einer Flügelmechanik ausgestattet ist, die über das Spielgefühl unsere Haptik positiv anspricht. Der Klang wird mittels Samples über ein auf den Flügelklang abgestimmtes Soundequipment erzeugt.

Es ist also tatsächlich ein Flügel, zumindest der Spieltechnik nach. Die digitale Klangerzeugung spart nicht nur den Service sondern gleichzeitig Raum. Dieses Modell schmückt jedes Wohnzimmer. Das regt die Phantasie an. Natürlich sind die Hersteller und der Handel begeistert. Nur die Klavierspieler winken exakt in dem Moment ab, wenn sie erfahren, dass der Klang nicht durch einen natürlichen Klangkörper erzeugt wird. Wie lassen sich diese gegensätzlichen Bewertungen erklären?

Interessant ist die Wertung der Klavierspieler und damit verbunden deren hohe Wertschätzung gegenüber dem echten Pianoklang. Denn schließlich sind die Klavierspieler ja die Kunden. Das heißt, das Ersetzen des natürlichen Vollwertklangs durch eine Klangkopie bietet dem Kunden keine zusätzliche Leistung sondern ist lediglich ein unvollständiger Ersatz. Ein Mehr-Wert würde erst durch die Kombinierbarkeit unterschiedlicher Klangquellen entstehen, wenn die jeweiligen Kombinationen eben das Erzeugen neuer, zusätzlicher Effekte ermöglichen.

Der Hersteller war sowohl mit der Wahl des Namens als auch der Kategorie eines Hybrid-Pianos für das vorgestellte Instrument kreativ. Denn der Name AvantGrand enthält die Kombination aus der Avantgarde (= Vorhut) sowie dem Grand Piano. Wenn also der AvantGrand die Vorhut ist, darf man fragen: Was folgt danach? Mindestens genauso interessant ist aber die Frage des folgenden Kapitels, wer nämlich die Kombination aus der Mechanik eines Flügels und einem System zur elektronischen Klangerzeugung als Erster erfunden hat?

Zum Seitenanfang Deutsche Erfindungen sind selbst Insidern kaum bekannt

Wer hat die Kombination aus Flügelmechanik und elektronischem Klang erfunden?

Die Verbindung aus einer Flügelmechanik und elektronischem Klang, die Yamaha für die Kategorisierung als Hybrid-Piano beansprucht, ist nicht neu. Diese Kombination zweier möglicher Elemente eines Tasteninstruments hat schon längst Seiler (Kitzingen) unter dem Namen DuoVox-Plus erfunden und zur Marktreife entwickelt. Aber in dem relativ großen Segment für akustische Instrumente mit integrierter Elektronik partizipiert heute außer den Japanern ernsthaft nur noch PianoDisc. Wie sieht eigentlich der Markt aus, auf dem das Hybrid-Piano seine Chancen suchen muss?

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